Dieter Goltzsche, 1990
Wie kaum eine andere deutsche Künstlerin des 20. Jahrhunderts hat Charlotte E. Pauly (1886–1981) Erlebtes in ihren Werken reflektiert. Geboren und aufgewachsen auf dem elterlichen Gut Stampen/Stępin in Niederschlesien, studierte sie zunächst Kunstgeschichte und promovierte als eine der ersten Frauen in Deutschland in diesem Fach. Danach verließ sie den wissenschaftlichen Weg, entschloss sich Malerin zu werden und studierte bei Bernhard Pankok an der Kunstgewerbeschule Stuttgart. Nach einigen Jahren in Niederschlesien unternahm sie 1925/26 und 1928/29 ausgedehnte Reisen nach Marokko und Spanien, wo sie Schülerin des Malers Daniel Vázquez Díaz wurde. Anschließend lebte sie bis 1932 im portugiesischen Nazaré, von wo sie zu einer ausgedehnten Reise durch Griechenland, Syrien, Libanon, Palästina, den Irak und Persien aufbrach.
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland musste Charlotte E. Pauly die Repressalien der Nationalsozialisten erdulden. Ihre Werke wurden als entartet diffamiert und die Künstlerin durfte nicht mehr ausstellen. Zurückgezogen lebte sie in Agnetendorf/Jagniątków im Riesengebirge in direkter Nachbarschaft des Schriftstellers Gerhart Hauptmann. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie mit dem sowjetischen Sonderzug, der den Leichnam und den Nachlass Gerhart Hauptmanns nach Ostdeutschland brachte, mitreisen.
Fortan lebte Charlotte E. Pauly im Berliner Stadtteil Friedrichshagen und wurde seit den späten 1950er Jahren als Künstlerin wiederentdeckt. Die Grafiker Dieter Goltzsche und Herbert Tucholski regten sie dazu an, ihre Zeichnungen aus den 1920er und 1930er Jahren in Druckgrafiken weiterzuverarbeiten. Ihre Kunstwerke, ihre Biografie und ihre unangepasste Lebensweise verliehen ihr in den folgenden Jahren eine geradezu mythische Bekanntheit unter jungen Künstlerinnen und Künstlern.
Der mit ihr befreundete Grafiker Dieter Goltzsche schenkte dem Graphischen Kabinett im Jahr 2019 130 Werke von Charlotte E. Pauly. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl aus dieser Schenkung. Gleichzeitig holt das Kulturhistorische Museum damit eine Ausstellung nach, die bereits 1937 geplant war, damals aber aus politischen Gründen nicht zustande kam.